Tätigkeitsbericht zum Abschluss der Telefonhotline

Geschrieben von: pethens  
Sonntag, den 20. Januar 2013 um 06:08 Uhr

Am 17. Januar 2013 haben Bischof Dr. Stephan Ackermann und Dr. Andreas Zimmer, Präventionsbeauftragter und Leiter des Arbeitsbereichs Beratungsdienste beim Bistum Trier, den detailierten „Tätigkeitsbericht zum Abschluss der Telefonhotline der Deutschen Bischofskonferenz für Betroffene sexuellen Missbrauchs“
Tätigkeitsbericht Teil 1 Tätigkeitsbericht Teil 2
vorgestellt. Als immer mehr Mißbrauchsfälle im kirchlichen Bereich bekannt wurden, entschloß sich die Deutsche Bischofskonferenz im Jahre 2010 eine Telefonhotline einzurichten. Sie wurde Ende 2012 abgeschaltet. Die Hotline wie auch die Internetberatung wurden intensiv in Anspruch genommen. Der Bericht, der sich durch Transparenz und Offenheit auszeichnet, gibt einen guten Einblick und Überblick über die Inanspruchnahme dieser Kontaktmöglichkeiten, aber auch, wie sich diese strukturell und personell veränderten. Die Gesprächspartner bis hin zu Mißbrauchsbeauftragten waren teils nicht auf das vorbereitet, was ihnen in diesem Zusammenhang begegnete. Traumatisierte Opfer übertrugen ihr Erlebnis der sexuellen Gewalt bisweilen auf ihren aktuellen kirchlichen Gesprächspartner. In dieser Hinsicht, so unschön das für den einzelnen kirchlichen Gesprächspartner auch gewesen sein mag, erfuhr die Kirche in unmittelbarem Kontakt viel von der Frustration, der Wut, der Trauer und der Verzweiflung der Opfer. Es wird sich zeigen, wie die Kirche mit dieser Erfahrung umgehen wird.

Neben der Darstellung der Geschichte und Nutzung der Mißbrauchshotline liegt der zweite Schwerpunkt des Berichts auf der Auswertung der Daten. Für die statistische Auswertung kamen 1824 Fälle in die engere Auswahl. Begrüssenswert ist in diesem Zusammenhang der Hinweis: „Ein Rückschluss auf das gesamte Feld sexueller Gewalt ist dabei wissenschaftlich nicht statthaft“. Das Eigene und Besondere der vorgelegten Erhebung bestehe vor allem darin, „dass bis dahin im „Dunkelfeld“ verschlossene Informationen erfasst werden konnten“. Zu begrüssen ist zudem die Feststellung, „dass es sich bei den Nutzerinnen und Nutzern der Angebote der Hotline um eine „Inanspruchnahme-Population“ handelt“. Dies scheinen auch die Graphiken zu bestätigen. Das Durchschnittsalter der Hotline-Nutzer lag bei 53,31 Jahren. Die Graphikkurven steigen ab 1940/1950 steil an und fallen in den 1970 ebenso steil wieder ab. Wird berücksichtigt, daß zwischen Tat und Meldung gut vierzig Jahre liegen können, dann lassen die Graphiken die Vermutung zu, daß ältere Opfer sich „nicht mehr“ und jüngere Opfer „noch nicht“ gemeldet haben.

Da relativ viele Priester als Täter genannt wurden, nimmt die „Pfarre“ als Tatort, gefolgt von „Heim“ und „Internat“, auch die erste Stelle ein. Strukturell zeigt sich, daß die Verknüpfung von sexueller und körperlicher Gewalt vor allem in Kinder- und Jugendheimen, seltener in Internaten, und in Pfarreien  nur vereinzelt, anzutreffen ist. Bezüglich der Kinder- und Jugendheimen wird man die Auswertung der Kinderheim-Hotline abwarten müssen. Daß die körperliche Gewalt in Heimen im vorliegenden Bericht sich geringer als der sexuelle Mißbrauch darstellt, mag, wie der Bericht hervorhebt, der veränderten Rechtslage mit dem Züchtigungsverbot in den 60ziger Jahren, aber wohl auch mit der speziellen Funktion der Mißbrauchshotline zusammenhängen. Daß ab den 70ziger Jahren die Bedeutung der Pfarre als Tatort zunimmt, mag ferner damit zusammenhängen, daß die Ordensgemeinschaften wegen Nachwuchsmangel Einrichtungen für Kinder und Jugendliche aufgeben oder in säkulare Einrichtungen mit weltlichem Personal umwandeln mußten.

Unter den genannten Tätern nehmen Priester die erste Stelle ein, wobei generell im kirchlichen Bereich männliche Opfer zu überwiegen scheinen. Vielleicht ist dies aber auch in dem hohen Anteil der Männer begründet, die das Angebot der Hotline nutzten. Auffällig ist ferner der Anteil von Ordensfrauen an den Delikten. Vielleicht wird dieser Umstand neue Impulse für die Erforschung von Frauen als Mißbrauchstäter setzen. Bislang wurde diese Tätergruppe bagatellisiert und für vernachlässigbar erklärt. Aber bekanntlich bergen wenig beachtete Phänomene mitunter einen reichen Erkenntnisgewinn. Die Differenzen zu Untersuchungen im internationalen Vergleich fordern zur Schärfung des Instrumentariums auf. So begrüssenswert und hilfreich derartige statistische Untersuchungen auch sind, so kratzen sie doch in der Regel nur die Oberfläche an. Kriminologische und moralische Bewertungen reichen nicht aus, auch sogenannte Persönlichkeitsstörungen geben keineswegs immer ein befriedigendes Erklärungsmodell. Abgespaltete Gefühlswelten können gerade bei der Gruppe kirchlicher Täter auch religionspsychologisch bedeutsam sein. Darauf deutet auch die Analyse des Täterverhaltens im vorliegenden Bericht hin. Seit vor gut zweihundert Jahren ein deutscher Theologe und Philosoph die Religion als Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit definierte, ist es Mode geworden, von „religiösen Gefühlen“ zu sprechen. Freilich weiß niemand, wieviele es davon gibt und welche davon im konkreten Fall tangiert sind. Dennoch könnten differenzierte religiöse Gefühle den Tätern eine Art Rechtfertigung, ihnen, trotz allem, ein „gutes Gewissen“ verschaffen. Was von außen als Uneinsichtigkeit erscheint, könnte in der Innenansicht die geschickte Balance der religiösen Gefühle sein. Bei Priestern ist zudem die Rolle des „character indelebilis“ zu beachten, der ihnen eine gültige Amtsführung ohne Rücksicht auf die Moralität ermöglicht. Bei der Bekämpfung des sexuellen Mißbrauchs in der Kirche scheint es daher vordringlich, nicht nur ein Profil oder Psychogramm des einzelnen Täters, sondern ein ungespaltetes Psychogramm der Gruppe insgesamt zu erstellen. Nur wenn die verwerflichen Taten als integraler Bestandteil des Gruppen-Psychogramms verstanden werden, als Möglichkeit des radikalen Bösen im Menschen, dann könnte sich der Weg zur Heilung auftun. Die Gnade setzt die Natur voraus. Nimmt man die Natur nicht an, so ist der Zugang für die Gnade verschlossen. Ob die Kirche den Mut findet, sich dem Anspruch der Natur zu stellen? Ist sie in der Lage die Sexualität nicht abzuspalten und in den Bereich des Verbotenen zu verbannen, sondern als positive Kraft auch im Leben des Priesters zu integrieren? In 100 Jahren werden wir es sicher wissen!

 

 
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